So, ich soll also eine Geschichte über Selbsttäuschung schreiben. Schwieriges Thema, würden da die Meisten denken, aber für mich wird das kein Problem sein, denn ich bin ein wahnsinnig kreativer Typ, wisst ihr? Ich meine, hallo? Wenn David Hasselhoff die Berliner Mauer niedersingen konnte, werde ich doch wohl so ein paar lumpige Zeilen zu so einem billigen Thema zustande bekommen.
Mir kann man einfach jedes beliebige Thema vorgeben, mir fällt immer etwas originelles ein. Für jemanden mit meinem Talent ist das überhaupt kein Problem. Ich weiß selber nicht, wie ich das immer hinbekomme, aber so bin ich halt. Wenn ich erst mal ein Problem in Angriff genommen habe, kann ich einfach nicht mehr loslassen. Da bin ich wie ein Kampfhund, quasi ein Pitbull des Intellekts. Ich lasse meinen Instinkten einfach freien Lauf und schon sprudeln die Ideen nur so aus mir heraus.

So auf Anhieb fällt mir jetzt gerade nicht sofort etwas bahnbrechendes ein, aber das ist ganz normal. Picasso hat seine Bilder schließlich auch nicht einfach so nebenbei beim telefonieren hingekritzelt. So sind wir Künstler einfach, wir brauchen Ruhe und Inspiration um in die Gänge zu kommen. Unseren Creative-Output in den Flow zu bekommen, wie ich immer sage.

Ich werde mal eine rauchen, dann fällt mir schon etwas ein. Eigentlich habe ich ja aufgehört, aber wenn man so einen starken Charakter hat wie ich, kann man sich so ein Zigarettchen zwischendurch ruhig mal erlauben. Oh, die Schachtel ist schon fast leer. Manchmal ist dieser Schaffensdrang echt ein Fluch. Da sind so viele großartig innovative Ideen in meinem Kopf, die wollen einfach raus. Ich bin da ein Opfer meiner eigenen Genialität. Ich inhaliere schön tief, dann kommt die Inspiration ganz von alleine.

Also mal nachdenken… Selbsttäuschung. Ich glaube, ich habe da einfach eine Blockade, weil das Thema zu simpel ist. Ich spüre regelrecht, wie sich mein Bewusstsein dagegen sperrt, sich mit dermaßen profanen Dingen auseinanderzusetzen, weil es sich von der Banalität des Themas unterfordert fühlt. Ich muss mich entspannen, mich einfach auf das niedrige Niveau der Aufgabe herablassen. Ich werde meine grauen Zellen noch mit einem kleinen Wodka in Schwung bringen. Ich trinke während kreativen Prozessen gern mal ein Glas aus purem Genuss. Das ist einfach die Lebensart von uns Künstlern. Schade, die Flasche ist fast leer, da gehe ich gleich noch mal los zur Tankstelle. So sind wir Freigeister halt, wenn es der Kunst dienlich ist, muss es eben sein. Ich bedaure die vielen langweiligen Leute, die das nicht so gut im Griff haben wie ich und ihre unerfüllte, arme Existenz nur noch mit Alkohol ertragen können..

Nun ist es natürlich auch immer so, dass ein Literat, ein sensibler Kosmopolit des Intellekts, wie ich einer bin, durchaus einen Schlag bei Frauen hat. Man hat da einfach das gewisse Etwas. Als ich gestern meinen Wodka an der Tankstelle gekauft habe, hat es mal wieder gefunkt. Die Kassiererin, Petra stand auf dem Namensschild, war total geflasht von meinem Esprit, das habe ich ihr sofort angesehen. Ich habe sie gefragt, ob wir zwei Hübschen mal nett etwas essen gehen. Da war die süße Maus ganz perplex. Die hat vor lauter Aufregung kaum ein Wort heraus bekommen und gesagt: „Mal sehen.“ Einfach so mal sehen. Bei uns künstlerisch kreativen Machern fühlt sich so ein junges Ding natürlich schnell mal überfordert und hat Bedenken nicht mithalten zu können.
Meiner Ex ging das genauso und sie hat vor zwei Jahren zu mir gesagt: „Ich ertrage einfach nicht mehr, was da alles so aus deinem Kopf kommt.“ Sie war meiner kreativen Urgewalt einfach nicht mehr gewachsen. An der Spitze ist es halt häufig einsam, wenn sich die uninspirierten, gewöhnlichen Leute neben dir klein fühlen.

Es ist ja auch nicht nur diese künstlerische Aura die mich umgibt, sondern liegt auch an meinem hippen Kleidungsstil. Man sieht mir einfach an, was für ein spritziger Typ ich bin.
Die Kids, die immer am Spielplatz abhängen, haben das sofort erkannt. Wenn sie mich kommen sehen freuen sie sich und begrüßen mich lachend. Sie haben mir sogar einen coolen Rappernamen gegeben und rufen quer über die Straße: „Hey Spaß-T!!!“ Die Jugend hat halt noch diesen rebellisch freshen Geist, den auch ich mir mit meinen einundvierzig Jahren immer bewahrt habe.

Also, ich weiß nicht so recht. Ich glaube das wird heute nichts mehr. Dieses nichtssagende Thema, ohne jegliche künstlerische Relevanz kann meinen Schaffensdrang einfach nicht befriedigen. Die Schreibübung richtet sich natürlich an Anfänger und da muss man auch einfach mal fair sein und den weniger talentierten Autoren eine Chance lassen. Ich werde mich lieber einer anspruchsvolleren, meinen Fähigkeiten angemessenen Herausforderung stellen und meinen Roman vollenden. Da geht es um diesen Jungen, der keine Eltern mehr hat. Klingt noch nicht besonders spannend, meint ihr? Dann passt mal auf, denn jetzt kommt der krasse Hammer: Das ist gar kein normaler Junge, sondern ein Zauberer und er kommt auf eine Zauberschule! Genial, oder? Den ersten Satz habe ich schon, er lautet, und jetzt haltet euch fest: -In dieser Nacht regnete es.- Mehr habe ich noch nicht geschrieben, aber der erste Satz ist ja auch immer der schwerste. Danach läuft es dann wie von selber, ich habe das alles schon genau in meinem Kopf. Ich muss jetzt nur noch mal darüber nachdenken und morgen schreibe ich dann einfach drauf los. Nach dem Fitnessstudio, wenn ich mich so richtig ausgepowert habe, geht es immer am besten. War jedenfalls vor einem halben Jahr so, als ich das letzte mal da war.

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Quellenangaben siehe https://kurzgeschichten.schreibkommune.de/quellenangaben/

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